|
|

Ist es ein „unerwünschtes Ereignis“ oder ein „schwerwiegendes Vorkommnis“?

Veröffentlicht am: 09/06/2025

Ein zentrales Ziel der Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte (MDR) ist die Stärkung der Patientensicherheit durch ein einheitliches System der Marktüberwachung. Doch gerade bei der Umsetzung dieser Vorschriften zeigt sich ein schwerwiegendes Problem: die begriffliche Unschärfe und Vermischung zwischen dem „unerwünschten Ereignis“ und dem „schwerwiegenden Vorkommnis“. Diese terminologische Inkohärenz ist nicht nur eine sprachliche Ungenauigkeit, sie birgt reale Risiken für Hersteller, Berater und die Meldung bei den zuständigen Behörden.

Die MDR: klare Begriffe, differenzierter Geltungsbereich

In der Präambel der MDR unter Erwägungsgrunds-Nr. 79 heißt es: „Die Meldung von schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen oder Produktmängeln im Rahmen klinischer Prüfungen und die Meldung schwerwiegender Vorkommnisse, die nach Inverkehrbringen eines Produkts auftreten, sollten klar voneinander abgegrenzt werden, um Doppelmeldungen zu vermeiden.“

Das spiegelt sich auch in den Definitionen unter Artikel 2 wider:

„Vorkommnis“ (Artikel 2 Nr. 64) bezeichnet eine Fehlfunktion oder Verschlechterung der Eigenschaften oder Leistung eines bereits auf dem Markt bereitgestellten Produkts, einschließlich Anwendungsfehlern aufgrund ergonomischer Merkmale, sowie eine Unzulänglichkeit der vom Hersteller bereitgestellten Informationen oder eine unerwünschte Nebenwirkung.

„Schwerwiegendes Vorkommnis“ (Artikel 2 Nr. 65) bezeichnet ein Vorkommnis, das direkt oder indirekt eine der nachstehenden Folgen hatte, hätte haben können oder haben könnte:

  • den Tod eines Patienten, Anwenders oder einer anderen Person,
  • die vorübergehende oder dauerhafte schwerwiegende Verschlechterung des Gesundheitszustands eines Patienten, Anwenders oder anderer Personen,
  • eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Gesundheit,

„Unerwünschtes Ereignis“ (Artikel 2 Nr. 57) bezeichnet ein nachteiliges medizinisches Ereignis, eine nicht vorgesehene Erkrankung oder Verletzung oder nachteilige klinische Symptome, einschließlich anormaler Laborbefunde, bei Prüfungsteilnehmern, Anwendern oder anderen Personen im Rahmen einer klinischen Prüfung, auch wenn diese nicht mit dem Prüfprodukt zusammenhängen.

„schwerwiegendes unerwünschtes Ereignis“ (Artikel 2 Nr. 58) bezeichnet ein unerwünschtes Ereignis, das eine der nachstehenden Folgen hatte:

  • Tod,
  • schwerwiegende Verschlechterung des Gesundheitszustands des Prüfungsteilnehmers, die ihrerseits eine der nachstehenden Folgen hatte:
    • lebensbedrohliche Erkrankung oder Verletzung,
    • bleibender Körperschaden oder dauerhafte Beeinträchtigung einer Körperfunktion,
    • stationäre Behandlung oder Verlängerung der stationären Behandlung des Patienten,
    • medizinische oder chirurgische Intervention zur Verhinderung einer lebensbedrohlichen Erkrankung oder Verletzung oder eines bleibenden Körperschadens oder einer dauerhaften Beeinträchtigung einer Körperfunktion,
    • chronische Erkrankung,
  • Fötale Gefährdung, Tod des Fötus oder kongenitale körperliche oder geistige Beeinträchtigungen oder Geburtsfehler;

IMDRF: Globaler Klassifikationsrahmen, kein Rechtsbegriff

Die Internationale Arbeitsgruppe der Medizinproduktebehörden (IMDRF) definiert in ihrem Dokument IMDRF/AE WG/N43FINAL:2020 eine umfassende Terminologie zur Beschreibung von unerwünschten Ereignissen (AE) und schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen (SAE). Dabei werden die von der EU unterschiedlich gehandhabten Vorkommnisse/Ereignisse durchaus gleichgestellt.

Die IMDRF schreibt selbst:

„Je nach Rechtsraum können die Begriffe ‚unerwünschtes Ereignis‘ (nach dem Inverkehrbringen) und ‚Vorkommnis‘ typischerweise austauschbar verwendet werden.“

Diese Offenheit schafft Unsicherheit: Die IMDRF-Terminologie dient als technisches Kodierungssystem, ist jedoch nicht rechtlich bindend innerhalb der MDR-Systematik.

Ein meldepflichtiges Vorkommnis im Rahmen von ungenauer Übersetzung könnte nach den IMDRF-Codes bezüglich der Gebrauchsanweisung oder Kennzeichnung A21 oder A2101 entsprechen:

A21 Problem associated with device markings/labelling, instructions for use, training and maintenance documentation or guidelines.
A2101 Problem associated with the written, printed or graphic material accompanying or affixed to the device or any of its packaging. This includes verbal instructions relating to identification, technical description, and usage provided by the device manufacturers. Problems can include but are not limited to this material being unclear, missing, worn out, incorrect or inaccurate.

Europäische Kommission: MDR-Begriff + IMDRF-Code = Pflicht

Seit 2020 verpflichtet die Europäische Kommission Hersteller dazu, im Rahmen des MIR-Formulars (siehe das Fragen und Antworten Blatt der Europäischen Kommission) schwerwiegende Vorkommnisse mittels IMDRF-Codes aus dem System der „unerwünschten Ereignisse“ zu klassifizieren. Das ist keine begriffliche Übernahme, sondern ein rein technisches Hilfsmittel zur Harmonisierung der Datenauswertung.

„Im vorliegenden Kontext umfasst der Begriff ‚unerwünschtes Ereignis‘ auch das (schwerwiegende) Vorkommnis im Sinne des Artikels 2 Nummer 65 MDR.“

In Deutschland ist das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die zuständige Behörde und legt klare Prozesse für die Meldung von Vorkommnissen durch Anwender, Betreiber und Händler fest. Über diesen Link gelangen Sie direkt zu den FAQs bezüglich der Meldung von Vorkommnissen in Deutschland.

Der Hersteller ist dazu verpflichtet diese Meldung zu untersuchen, Stellung zu nehmen und ggf. Korrekturmaßnahmen einzuleiten. Das BfArM wiederum führt eine Risikobewertung durch.

Auf der anderen Seite, müssen (schwerwiegende) unerwünschte Ereignisse im Rahmen der klinischen Prüfung eines Produkts über EUDAMED oder über das Deutsche Medizinprodukte-Informationssystem gemeldet werden. Einzelheiten über Meldefristen, Meldeformulare und Ausnahmen finden Sie hier.

USA: Einheitliche Begriffsnutzung, aber nicht übertragbar

Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde (FDA) verwendet den Begriff „unerwünschtes Ereignis“ (adverse event) einheitlich für alle sicherheitsrelevanten Ereignisse – in klinischen Studien wie nach der Zulassung. Hersteller müssen Ereignisse, die Tod, schwerwiegende Verletzungen oder Produktmängel betreffen, gemäß 21 CFR Part 803 melden. Die klare Begriffsnutzung ist konsistent, aber mit der MDR nicht kompatibel.

Fazit: Begriffspräzision ist regulatorische Notwendigkeit

Die MDR verlangt, dass der Begriff „(schwerwiegende) unerwünschte Ereignisse“ im Bereich der klinischen Prüfung und der Begriff „(schwerwiegende) Vorkommnisse“ nach dem Inverkehrbringen verwendet werden. Die IMDRF-Kodierung dient ausschließlich der technischen Klassifizierung und darf nicht zur Begriffsverschiebung innerhalb der Europäischen Union führen.

Empfehlung für Hersteller und Regulatory Affairs Manager:

  • Verwenden Sie „unerwünschtes Ereignis“ ausschließlich im Kontext klinischer Prüfungen (z. B. bei der Zusammenstellung Ihrer technischen Dokumentation)
  • Verwenden Sie „(schwerwiegendes) Vorkommnis“ für alle meldepflichtigen Fälle nach der Bereitstellung auf dem Markt.
  • Achten Sie bei der Nutzung der IMDRF-Terminologie darauf, dass diese nur der Codierung dient, nicht der Begriffswahl (auch wenn von AEs und SAEs gesprochen wird).
  • Wenn Sie Ihre technische Dokumentation oder Ihre FSNs übersetzen, achten Sie dass die Terminologie in anderen Sprachen stimmt.

Nur wer die Sprache der Regulierung korrekt spricht, kann die Anforderungen der MDR erfüllen und das Vertrauen der Behörden und Patienten gewinnen.

Ein erfahrener, auf Medizinprodukte spezialisierter, Sprachdienstleister stellt sicher, dass sowohl Fachterminologie als auch regulatorische Anforderungen in jeder Zielsprache korrekt umgesetzt werden. Nur eine präzise und kontextspezifische Terminologie schützt vor Meldefehlern und rechtlichen Risiken. Übersetzungen müssen ebenso MDR-konform sein. Deshalb ist es entscheidend, mit spezialisierten Sprachdienstleistern zusammenzuarbeiten, die regulatorische Expertise mit sprachlicher Präzision verbinden.

Vielleicht interessieren Sie sich auch für folgende Artikel:

Bild des Benutzers Alejandra Keller
Alejandra Keller

Alejandra Keller, deutsche Staatsbürgerin, ist deutsche und spanische Muttersprachlerin und verfügt über sehr gute Englischkenntnisse. Sie hat einen Abschluss in Übersetzen von der Universität Heidelberg und hat in Deutschland, den Vereinigten Staaten, Irland, Spanien und Peru gelebt und studiert. Mit einer Leidenschaft für interkulturelle Kommunikation arbeitet sie derzeit als Projektmanagerin bei AbroadLink.

Neuen Kommentar hinzufügen

MEDICAL_DEVICE_DE
1